Auch die gute Hoffnung stirbt zuletzt

Von Lilly M. Daniel

Warme Sonnenstrahlen legten sich auf Theresas blasses Gesicht. Sie blendeten. Die 26jährige hielt ihre Hand über die rotgeweinten Augen und blinzelte vorsichtig in den Tag. Als sie sich aufrichtete und das Chaos in ihrem Wohnzimmer sah, ein Chaos, das sich auch in ihrem Inneren spiegelte, stiegen ihr erneut die Tränen in die Augen. Theresa griff nach der großen Pappschachtel, in der sich noch ein letztes Taschentuch befand und schnäuzte sich die wunde, rote Nase.
Ihre langen, braunen Haare klebten ihr an Stirn und Wangen, und aus den ebenso braunen Rehaugen war der vormals hübsche Glanz einer tiefen Traurigkeit gewichen. Die junge Frau erhob sich von ihrem blauen Sofa und bahnte sich den Weg durch das chaotische Wohnzimmer zu den kleinen Fenstern, um diese mit dunklen Tüchern abzuhängen.
Der Frühling war ausgesperrt.

Theresa hatte seit Tagen nicht mehr aufgeräumt. Sie fühlte sich nicht imstande irgendwas zu tun. Der dunkle Wohnzimmertisch war über und über von zerknüllten Taschentüchern bedeckt. Einige waren vom Tisch gefallen und verteilten sich auf dem Fußboden. Doch all das störte Theresa im Moment nicht, ihr war das alles egal. Wieder und wieder wurde die junge Frau von heftigen Weinkrämpfen überwältigt.
Sie ließ sich erneut auf das Sofa fallen und griff nach der Wasserflasche, die sie daneben platziert hatte. Gegessen hatte sie seit Tagen kaum mehr etwas. Nicht nur, dass sie sich zu schwach fühlte, um sich etwas zuzubereiten, nein, sie empfand schlichtweg weder Hunger noch Appetit. Das Einzige, das sie empfand, waren Trauer und Schmerz. Alles fühlte sich kalt und leer in ihrer Körpermitte an, so als könne sie regelrecht spüren, dass etwas fehlte.

Vor zwei Wochen war doch alles noch gut gewesen. Theresa hatte sich am Morgen von ihrem Freund Marco verabschiedet und sich auf den Weg zur Arbeit gemacht. Die hübsche Brünette arbeitete hin und wieder als Messehostess und musste auf einer Ausstellung in Düsseldorf arbeiten. Da sie bis spät in die Nacht arbeiten würde, hatte sie sich in einem Hotel in der Nähe des Messegeländes ein Zimmer gemietet, um dort die Nacht zu verbringen. Als Marco an diesem Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück ebenfalls aufbrechen wollte, hatte sie ihn zum Abschied noch innig umarmt und geküsst. Von dem, was sie erst am nächsten Abend begreifen sollte, war an diesem Morgen nichts zu spüren.

Theresa wunderte sich, als sie am späten Samstagabend mit ihrem Kleinwagen auf den Hof des Mehrfamilienhauses fuhr und in ihrer Wohnung kein Licht brannte. Marco müsste doch eigentlich zu Hause sein, und so früh ging er selten ins Bett. Zunächst bemerkte die junge Hostess nichts, nachdem sie die Tür der gemeinsamen kleinen Wohnung aufgeschlossen und das Wohnzimmer betreten hatte. Der kleine Zettel auf dem hölzernen Tisch fiel ihr erst später auf. Sie zog ihre schwarze Lederjacke aus und hing sie an die Garderobe, als ihr Blick auf das Stück Papier fiel. Es standen nur drei Worte darauf.
»Es ist aus!«

Zunächst erschloss sie die Bedeutung dieser Worte nicht. Theresa wusste nichts damit anzufangen. Was sollte aus sein? Ein böser Scherz?
»Marco?«, rief sie in die Wohnung.
Keine Antwort. Die Wohnung schwieg.
In einem Anflug plötzlicher Panik raste Theresa die Stufen zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer hinauf, nur um dort ein leeres Bett vorzufinden. Die orangefarbenen Kissen und die gemusterten Decken lagen noch genauso zerzaust und an den gleichen Stellen, wie sie am Morgen davor zurückgelassen wurden. Sie sprang die Treppe wieder hinab, nahm dabei mehrere Stufen auf einmal und stürmte ins Bad. Aber auch dort stand neben einigen Kosmetika nur ihre eigene Zahnbürste im Becher. Der Platz, an dem Marco seine Zahnbürste hatte, war leer. Auch fehlten sein Rasierer, das teure Parfüm, das sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, sowie sein Bademantel.
All seine Sachen waren verschwunden.
Noch im Bad brach Theresa heulend auf den weißen Fließen zusammen. Dabei war doch alles so wunderbar gewesen. Ihr Leben hatte endlich die richtige Bahn gefunden, und sie fühlte sich, als habe eine himmlische Woge Glücks sie vom Strand bisheriger Niederlagen mitten ins Paradies gespült. Sie war endlich mit ihrem Traumprinzen zusammen gekommen.
Mit Marco.

Der junge Mann mit seinem verwegenen Dreitagebart und den so magisch wirkenden dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, war der heimliche Schwarm all ihrer Freundinnen. Aber Marco hatte sich für sie entschieden. Zunächst hatte sie ihr Glück nicht fassen können, denn sie selbst war mit ihrem eigenen Aussehen immer nur leidlich zufrieden gewesen. Deswegen überraschte es sie keineswegs, dass ihre Freundinnen sie nicht nur beglückwünschten zu diesem Fang, sondern auch nicht müde wurden zu betonen, wie froh Theresa sein könne, einen solchen Prachtkerl bekommen zu haben. Denn die in diesen Worten enthaltene Beleidigung war ihr nicht entgangen. Ihr sozialer Marktwert allerdings stieg von einem auf den anderen Tag ungeheuer an. Erst recht, als Marco zu ihr zog und von Heirat und Kindern die Rede war. Wenn sie mit befreundeten Pärchen im Kino waren oder gemeinsam aßen, dann waren Marco und Theresa die Stars der Gruppe.
»Wie David und Victoria Beckham«, scherzte sie.

Marco war diese Aufmerksamkeit gewohnt. Ihm waren schon seit seiner Jugend die Frauenherzen nur so zugeflogen, seine Aura war von einer ungeheuren Präsenz. Und dann hatte er Theresa kennengelernt. In einer Diskothek hatte er sie angesprochen. Plötzlich wie aus dem Nichts stand er vor ihr. Mit zwei Cocktails in den Händen. Keck hielt er ihr den einen unter die Nase und zog sie dann sanft aus dem Tanzbereich hinaus. Um Theresa war es sofort geschehen. So schnell hatte sie sich noch nie verliebt. Dann war er zu ihr gezogen in die kleine Wohnung am Stadtrand. Es kam ihr vor, als würden sie sich schon ewig kennen.

Seit dem frühen Tod ihrer Eltern sehnte sie sich nach Liebe und Zuneigung. Natürlich hatte Theresa auch vorher die ein oder andere Beziehung gehabt, aber die Tiefe des Gefühls, die sie für Marco empfand, stellte alles andere in den Schatten. Von Heirat war die Rede, auch Kinder wollte er mit ihr haben.
Und obwohl sie damals noch nicht lange zusammen waren, wollten sie es doch schon damit versuchen. Sie stellten die Verhütung ein und fieberten gemeinsam einem schnellen Kinderglück entgegen.
Und jetzt?
Jetzt lag Theresa da, heulend in ihrem Badezimmer, in eben jenem teuren Chanel-Kostüm, das sie als Messehostess so gerne trug. Nachdem sie sich nach einer halben Ewigkeit endlich aufgerappelt hatte und ins Wohnzimmer zurückgekehrt war, wählte sie die 1 für Kurzwahl. Auf dem Display erschien das Foto von Marco und ihr selbst am Strand von Ibiza, wo sie im letzten Herbst den ersten gemeinsamen Urlaub verbracht hatten. Spontan hatten sich beide ein paar Tage frei genommen und waren mit gepackten Koffern zum Düsseldorfer Flughafen gefahren, um dort vor Ort ein Schnäppchen zu buchen. Und tatsächlich ging am selben Abend noch ein Flieger auf die spanische Insel. Sie waren so glücklich gewesen, als sie dieses gemeinsame Selbstportrait schossen. Am Vorabend hatten sie in den angesagtesten Clubs getanzt, und am Morgen nach dem Frühstück waren sie schon zum Strand gegangen und hatten das kühle Meer und die Wellen genossen. Sie betrachtete das Foto. Marco hielt sie im Arm, und sie strahlten und lachten fröhlich.

Nun reagierte Marco auf keinen Anruf und auf keine Kurznachricht mehr. Nachricht für Nachricht schickte Theresa an seine Mailbox. Sie hoffte inständig, dass er diese bald abhören und sich melden würde. Sie schrieb E-Mail auf E-Mail. Und sie weinte immerzu.
Auch im Freundeskreis wollte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen haben. Wie konnte ein Mensch denn nur so spurlos verschwinden? Wie konnte denn seine Liebe einfach so verschwinden? Es hatte überhaupt keine Vorzeichen gegeben. Sie hatten sich nicht gestritten. Nichts! Alles war gut. Sie waren doch glücklich. Oder hatte sie sich das alles nur eingebildet? Sollte sie sich in Marco so schrecklich getäuscht haben?

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